The Haunting of Hill House: Kritik der 1. Staffel (2024)

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Von: Johanna Thron

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The Haunting of Hill House: Kritik der 1. Staffel (1)

In einer freien Adaption des Horrorklassikers The Haunting of Hill House lehrt Autor und Regisseur Mike Flanagan uns das Gruseln. Mit einem Aufgebot an bekannten Schauspielern geht die Serie der Frage auf den Grund, wie es ist, in einem Geisterschloss aufzuwachsen.

Spoilerwarnung - diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!

Worum geht es?

Dreh- und Angelpunkt in der Netflix-Serie The Haunting of Hill House ist die Crain-Familie, die das Hill House kaufen, nachdem die letzten Angehörigen der Hill-Familie verstorben sind und das Anwesen in den Besitz der Haushälter, dem Ehepaar Dudley gefallen war. Die Crain-Eltern wollen das Haus renovieren, um es für viel Geld zu verscheuern und endlich ihren Traum eines eigenen Heims (Mutter Olivia (Carla Gugino) nennt es das Für-Immer-Haus, weil sie nie wieder umziehen müssten) zu verwirklichen. Offenbar hat diese Familie es sich zur Gewohnheit gemacht, in Häuser zu ziehen, sie herzurichten und weiterzuverkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eigentlich sind die Eltern aber keine Konstrukteure. Olivia und Hugh (Henry Thomas) sind Architekten: Sie entwirft Häuser und er baut sie. So ist sie im Hill House für die Grundrisszeichnungen verantwortlich und Hugh für die grobe Restaurationsarbeit.

Mit ihnen zusammen ins Haus kommen ihre fünf Kinder, ihr Erstgeborener Steven (Paxton Singleton), die Schwestern Shirley (Elizabeth Reaser) und Theodora (Mckenna Grace) und die Jüngsten, die Zwillinge Luke (Julian Hilliard) und Nell (Victoria Pedretti). Von Anfang an wird klar, dass etwas mit den Crains das Haus bewohnt. Nicht nur kann man im Hintergrund gespenstische Umrisse erkennen, Nell wird von einer gruseligen Frau mit einem „verbogenen Hals" heimgesucht. Es ist deutlich: Geister gibt es wirklich.

Aber das ist nur ein Zeitstrang, denn The Haunting of Hill House spielt auf mehreren Zeitebenen. Zwanzig Jahre nach dem ereignisreichen Sommer im Haus treffen wir auf Steven Crain (Michiel Huisman), den Ältesten der Geschwister. Er ist jetzt ein erfolgreicher Horrorautor, der die Ereignisse seiner Kindheit in einen Bestseller verpackt hat, wobei er sich anscheinend reichlich künstlerische Freiheit erlaubt hat. Zwar reist er im Land umher, um Geistergeschichten für seine Bücher zu sammeln, aber er hat nach eigener Aussage nie selbst ein Gespenst gesehen, auch nicht in seiner Zeit im Hill House. Die Zeit dort verfolgt ihn aus einem anderen Grund: Seine Mutter hat dort Selbstmord begangen. Wegen den mysteriösen Umständen ihres Todes wurde das Hill House berühmt als das fürchterlichste Geisterschloss im ganzen Land.

Familienbande

The Haunting of Hill House: Kritik der 1. Staffel (2)

Das Hill House hat alle Bewohner geprägt, jedes der Crain-Kinder und auch Vater Hugh (hier: Timothy Hutton), der keinem seiner Söhne und Töchter mehr nahesteht. Jedes Familienmitglied bekommt fast eine ganze Episode, in denen wichtige Ereignisse aus ihrem Leben, im Besonderen der Sommer im Spukhaus, gezeigt werden. Das Interessante daran ist, dass man so Situationen aus mehreren Blickwinkeln sieht und mit jeder neuen Perspektive verändert sich auch die eigene Sicht. Das stärkste Beispiel dafür ist diese schicksalhafte Nacht, in der Olivia umkommt. Jeder Crain hat seine eigene Version der Geschehnisse und mit jeder Erinnerung kommt der Zuschauer dem wahren Ablauf ein Stück näher.

Erste Einblicke bekommt man von Steven, der am wenigsten über die Nacht weiß. Er ist fest davon überzeugt, dass seine Mutter psychisch krank war. Und das Gerede seiner Geschwister und seines Vaters über Geister und übernatürliche Erscheinungen verfestigen bei ihm nur die Meinung, dass das Genmaterial seiner ganzen Familie fehlerhaft ist. Ob er damit Recht hat oder nicht, wird nicht ganz klar, aber einen gewissen Zusammenhang zwischen den Gaben der Familie und mentaler Instabilität gibt es definitiv. Jedes der Crain-Kinder hat sein Päckchen zu tragen und mit keinem ist leicht auszukommen. Alle haben ihre Fehler und (sprichwörtlichen) Leichen im Keller.

Neben Steven, der die Erinnerungen seiner Familie benutzt hat, um seine Karriere voranzubringen, gibt es da noch Shirley (Elizabeth Reaser). Shirleys Beruf dreht sich genau wie der von Steven um die Toten. Sie führt zusammen mit ihrem Mann ein Bestattungsunternehmen, das besser laufen würde, wenn sie nicht jeder Familie aus Mitgefühl ein viel zu niedriges Angebot machen würde. Mit einem ausgeprägten Zwang zur Perfektion lässt sie sich und anderen keine Schwächen durchgehen und ist genau wie Steven fest davon überzeugt, dass es so etwas wie Gespenster nicht gibt. Als große Schwester fühlt sie sich verantwortlich für ihre jüngeren Geschwister und lässt Theodora (Kate Siegel) sogar in ihrem Gartenhaus wohnen. Theodora, das mittlere Kind, hält sich generell eher bedeckt. Sie arbeitet als Kindertherapeutin und nutzt dabei die von ihrer Mutter geerbte Gabe, ungreifbare Dinge zu spüren, um die Probleme ihrer Patienten besser zu verstehen.

Luke (Oliver Jackson-Cohen) und Nell (Victoria Pedretti) hat das Haus (und der Tod ihrer Mutter) am schlimmsten erwischt. Nell schafft es noch ganz gut, mit ihrem Leben zurechtzukommen, aber sie wird von Nachtängsten geplagt, in denen sie von der „Frau mit dem verbogenen Hals" heimgesucht wird. Sie beschließt, sich ihren Ängsten und damit dem Hill House zu stellen, was die Ereignisse der Serie überhaupt erst ins Rollen bringt. Und dann ist da noch Luke, die größte Enttäuschung der Familie. Er ist seit Jahren drogenabhängig und hat mehr als einmal seine Familie ausgenutzt, ist so oft wieder rückfällig geworden, dass keiner ihm mehr einen Glauben schenkt, als er erzählt, er wolle sauber werden. Hugh hat sich von seinen Kindern abgegrenzt und lebt alleine. Er und Steven haben sich bitter zerstritten, weil Steven seinem Vater die Schuld am Tod seiner Mutter gibt und Hugh nicht über die Nacht oder Olivia reden möchte. So weiß keiner, was wirklich vorgefallen ist.

Mutter Olivia ist nicht mehr anwesend für den späteren Teil der Geschichte, aber das tut ihrer Präsenz keinen Abbruch - aus mehreren Gründen. Einerseits ist die Handlung ja nicht linear erzählt, also sieht man sie noch in vielen Rückblicken. Andererseits hängt ihr Verlust so düster über dem Rest der Familie, dass man das fehlende Mitglied nie aus den Augen verliert. Die Konstellation der Crains ist das Kernstück der Serie, die ultimativ von deren Familienband handelt.

SPOILER-ALERT

Foreshadowing und Flashbacks

Die Grenze zwischen Einbildung und Realität ist bei „The Haunting of Hill House“ fließend. Wie genau das Haus zu dem geworden ist, was es ist, wird nicht aufgelöst, aber diese Frage ist auch eher nebensächlich. Wie wir an Shirley sehen, können die Gespenster der Crain-Familie unterschiedliche Gestalten annehmen. Die Erscheinung, die Shirley verfolgt, ist weder Teil des Hill Houses noch erinnert sie Shirley an einen Toten. Es ist ihre Angst und ihre Scham, die sie seit Jahren mit sich herumschleppt und überall sieht, egal, wohin sie blickt. Und mehr als einmal entpuppen sich die geisterhaften Erlebnisse im Haus als ein ahnungsloses Familienmitglied, das aus seiner Zeit herausgerissen wurde. Keinem der Crains wird von den Gespenstern auch nur ein Haar gekrümmt. Es sind ihre eigenen Ängste und Wünsche, die sie in den Wahnsinn treiben. Aber subtiler Horror hin oder her, eines ist sicher: Die Gespenster der Crains fordern von ihnen einen hohen Preis.

Einer der Knackpunkte hinter dem Aufbau der Serie ist: Zeit verläuft nicht in einer einfachen Linie. Einerseits ist das wahr für den Erzählstil der Staffel, die immer wieder zwischen Punkten im Leben der Crains hin- und herhüpft, diese gegenüberstellt, miteinander in Verbindung setzt, Verknüpfungen erstellt, Hintergrundinformationen liefert und so weiter und so fort. Aber innerhalb der Handlung ist das gleiche wahr. Sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft beeinflussen die Entscheidungen und Handlungen der Crain-Familie. Wäre Nell umgekommen, hätte sie ihren Tod nicht vorhergesehen? Wäre Olivia dem Haus zum Opfer gefallen, hätte sie nicht die Zukunft ihrer Kinder gesehen? Selbst Hugh hat womöglich sein Schicksal als Teil des Hauses vorhergesehen, denn er ist der einzige, der die Umrisse eines Menschen im schwarzen Schimmel erkennt, der ihn schließlich das Leben kostet.

The Haunting of Hill House: Kritik der 1. Staffel (3)

The House always wins

Für mich ist einer der faszinierendsten Aspekte der Geschichte etwas eher Unterschwelliges: das Gefühl eines Zuhauses. Immer wieder sehen wir, dass die Crain-Geschwister das Hill House als ihr altes Heim ansehen, auch die meisten ihrer wichtigsten Erinnerungen spielen sich dort ab. Sicherlich ist das mitunter dem Rahmen einer Horrorserie zuzuordnen, dass sich sehr viel in einem verfluchten Haus abspielt. Aber Fakt ist doch, dass sich die Crains nur wenige Wochen in dem Haus aufgehalten haben. Die längste Zeit ihrer Kindheit haben sie bei ihrer Tante verbracht, die schon Glück hat, für zwei Minuten in der Serie aufzutauchen.

Es könnte natürlich sein, dass das der Natur von Serien und Filmen geschuldet ist, die uns Zuschauern nur die relevanten Ereignisse im Leben der Protagonisten zeigen können. Aber in einer Serie, die so viel Acht auf Details gibt und sich genug Zeit für alle Charaktere nimmt, scheint dieses Herausschneiden der Tante, der zweiten Mutterfigur, doch eher eine absichtlich gewählte Entscheidung der Serienschaffenden zu sein. Obwohl das Leben im Haus schrecklich war, ist es das einzige Zuhause, das die Crains haben und die letzte Erinnerung an ihre Mutter. Eine bittersüße Verbindung und ein Ausblick auf das Ende der Serie, in der das Haus das ewige Zuhause für einen Teil der Familie wird.

Das Hill House wandelt sich im Laufe der Serie für Olivia zu ihrem Für-Immer-Haus, was auch immer wieder angedeutet wird. Zum einen zerschmettert Olivias Geist ihr selbst entworfenen Modellhaus, das Shirley jahrelang als Andenken an ihre Mutter aufbewahrt hatte. Das eindeutigste Zeichen ist aber die Grundrisszeichnung des Hill House, die Olivia in einer Trance mit hunderten Formen füllt, die den Umriss ihres Für-Immer-Hauses haben. Subtile Details, die erst am Ende der Serie ihre Wirkung entfalten.

Ob die Serie nun ein Happy End hat oder ein schreckliches Ende nimmt, ist nicht so genau zu sagen. Eher wirft es weitere Fragen auf. Einerseits haben Hugh und Olivia nun ihr Für-immer-Haus und leben (nicht leben, spuken) mit ihrer Tochter ewig zusammen, genau wie die Hills und Dudleys. Andererseits sind sie, nun ja, tot. Und für immer im Hill House gefangen. Ob die anderen Mitglieder der Familie es geschafft haben, zu entkommen, ist auch nicht hundertprozentig sicher, wie Showrunner Mike Flanagan („Ouija“) in einem Interview mit Thrillist erklärt.

The Haunting of Hill House: Kritik der 1. Staffel (4)

Abigail

Einen guten Twist erkennt man daran, dass man ihn selbst hätte erkennen können. Die ganzen Informationen sind da, aber es wird nicht klar, bis die Wendung schließlich aufgelöst wird. Da wäre einerseits die Frau mit dem verbogenen Hals, was (für mich) noch einigermaßen vorhersehbar war. Im Gegenteil zu der Wendung rund um Abigail.

Das schreckliche Geheimnis, das Hugh seinen Kindern verheimlicht hat, ist wirklich grausam. Die meiste Zeit habe ich mich gefragt, was so unglaublich furchtbar ist, dass die Kinder nichts davon erfahren können. Sie wissen, dass Olivia sich umgebracht hat, warum verheimlicht ihr Vater ihnen die Ereignisse des Abends? Aber, dass ihre Mutter für den Tod eines kleinen Mädchen verantwortlich ist, ja, das ist grauenhaft genug, dass die Crain-Geschwister lieber ohne dieses Wissen leben sollten. Das Verrückte an der Sache: Da wir von Nell wissen, dass für Geister die Zeit nicht in einer geraden Linie verläuft, kann es sein, dass Luke tatsächlich Abigail als Gespenst über den Weg gelaufen ist. Und die Tatsache, dass Lukes Eltern nicht dachten, dass Abigail real ist, war einerseits auf der Metaebene Foreshadowing und andererseits erst einer der Faktoren, der zu ihrem Tod geführt hat. (Wer es noch nicht bemerkt hat: Diese Serie besteht zu 99 % aus Tragik.)

Fazit

Die fünf Sterne sind da, um benutzt zu werden! Zwar ist die Serie in meinen Augen nicht so gruselig, wie sie es für andere ist, aber ein unglaublich verstrickter Handlungsaufbau, hervorragende Darsteller und eine Kameraführung, die jeden Moment perfekt einfängt, lässt nicht viel Raum für Kritik. „The Haunting of Hill House“ ist eine wundervoll strukturierte Parabel über den Umgang mit Trauer und Verlust, die sich keiner entgehen lassen sollte. (Und was gut genug für Stephen King ist, ist gut genug für mich.)

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Author: Carlyn Walter

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