Leibniz-Preis für Historiker Jörn Leonhard: Wie man Kriege beendet (2024)

Die Forschung des Freiburger Historikers Jörn Leonhard passt in unsere Zeit: Sein jüngstes Buch heißt: Kriege und wie man sie beendet. Er ist einer der Preisträger des hochdotierten Leibniz-Preises 2024.

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Der Freiburger Professor Jörn Leonhard erhält den Leibniz-Preis 2024 für seine Arbeiten auf dem Gebiet der europäischen und transatlantischen Kultur- und Politikgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg.

Durch seine Forschung zum europäischen Liberalismus, zum Zusammenhang von Empire und Nationalstaat und zur Geschichte und Nachgeschichte des Ersten Weltkriegs der Geschichtswissenschaft hat Jörn Leonhard weltweit neue Wege erschlossen. Sein jüngstes Buch widmet sich der Frage, wie man Kriege beenden kann. Anja Braun aus der SWR Wissenschaftsredaktion stellt den Preisträger vor:

Frühe Faszination von Jörn Leonard für das Fach Geschichte

Jörn Leonhards Interesse an Geschichte und historischen Zusammenhängen wurde früh geweckt. Der 56-jährige Historiker schwärmt heute noch vom spannenden Geschichtsunterricht, der "deshalb so gut war, weil er nicht auf Daten und Jahreszahlen beruhte oder darauf abhob, sondern zum Beispiel den Schülerinnen und Schülern beigebracht hat, was eine Quelle ist und was man aus einem Quellentext machen kann, wie man die Perspektive der Zeitgenossen, der Französischen Revolution oder der 48-er Revolution versucht zu rekonstruieren. Das hat mich wirklich fasziniert."

Zudem habe ihm die Geschichtslehrerin eine wichtige Botschaft vermittelt: Nur in dem, was einen wirklich interessiere, könne man richtig gut werden. Für Jörn Leonhard hat das gut funktioniert. Er ist seit 2006 Professor an der Universität Freiburg und hat mehrere Lockrufe an andere durchaus renommierte Unis abgelehnt. Der Historiker schätzt die Uni Freiburg sehr und betont: "die wahnsinnig hohe Qualität der Studierenden."

Das ist die kritische Masse, mit denen man ja täglich zu tun hat. (…) Und meine Erfahrung war, dass ich die Themen, die mich interessiert haben, immer auch rückspielen wollte. Und ich habe aus sehr guten Seminaren auch immer wirklich sehr viel gelernt aus Fragen, über die ich noch gar nicht nachgedacht hatte.

Leibniz-Preis für Historiker Jörn Leonhard: Wie man Kriege beendet (1)

Der Blick auf die Geschichte hilft politische Entscheidungen vorzubereiten

In der Öffentlichkeit gebe es oft die Hoffnung, Historikerinnen und Historiker könnten aus der Vergangenheit ableiten, was passieren wird, und die Politik könne sich dann entsprechend verhalten. Dem widerspricht Leonhard:

Man kann politische Entscheidungen nicht an die Geschichte delegieren. Aber man hat eine bessere Vorbereitung auf politische Entscheidungen, wenn man sich auf die Geschichte einlässt.

Die Geschichtswissenschaft könne gerade in dieser aktuellen Unübersichtlichkeit der vielen Kriege und Konflikte durchaus helfen – allerdings nicht im Sinne eines Orakels oder einer Wahrsagerin:

(...) weil sich Geschichte nicht wiederholt und weil wir nicht aus dem Studium vergangener Kriege wissen, was in sechs Monaten in der Ukraine oder dem Nahen Osten passieren wird. (…) Aber wir sehen in der Gegenwart mehr, wenn wir uns mit Konstellationen und Verlaufsmustern beschäftigen, die es in der Geschichte immer wieder gegeben hat.

Wenn man sich, so Leonhard, mit Kriegen der Vergangenheit beschäftige, dann wisse man mehr über die möglichen Szenarien, die eintreten können. Leonhard sieht das als eine "ziemlich gute Vorbereitung und auch als Möglichkeit, nüchtern und analytisch auf diese Unübersichtlichkeiten zu blicken, Dinge zu sortieren, vielleicht auch zu priorisieren und vielleicht zu fragen, welche nächsten Entwicklungen könnten plausibel oder weniger plausibel sein?"

Leonhard entwickelt zehn Thesen, wie man Kriege beendet

Das jüngste Buch des Freiburger Historikers Leonhard heißt: „Über Kriege und wie man sie beendet. Zehn Thesen."

Diese Thesen zeigen auf, "welche Muster es zum Ende von Kriegen in der Geschichte gegeben hat." Leonhard sagt, die zehn Thesen zeigten auch vor allen Dingen die Probleme. Sie zeigten auch, "dass jeder Krieg ein sehr individuelles Ende hat und dass man mit Analogien in diesem Zusammenhang einfach vorsichtig agieren muss."

Wichtig sei zu prüfen, ob und wann ein Krieg möglicherweise reif ist für eine diplomatische Lösung – die könne zum Beispiel darin bestehen, eine Art Pufferzone einzurichten, die von UN-Truppen oder neutralen Kräften gesichert werden könnte. Leonhard warnt jedoch vor einseitigen Zugeständnissen um des Friedens willen. Denn es sei in der Geschichte schon häufig vorgekommen, dass ein Aggressor nur vorspiegele, sich darauf einzulassen:

Genau das kann dann eben zur Ausweitung des Krieges und zur Steigerung der Gewalt führen. Und wenn sie das auf die Ukraine anwenden. Putin rechnet im Augenblick natürlich mit dem Faktor Zeit mit den amerikanischen Wahlen, mit der möglichen Erosion der westlichen, der europäischen Hilfe für die Ukraine. Forderungen nach Konzessionen in dieser Situation sind nachvollziehbar, aber sie sind, glaube ich, auch in der Gefahr, den Konflikt eher nochmal zu verlängern.

Leibniz-Preis für Historiker Jörn Leonhard: Wie man Kriege beendet (2)

Auch das Erstarken des Rechtsextremismus kann aus historischer Perspektive betrachtet werden

Auch die Gefährdung der Demokratie durch das Erstarken rechtsnationalistischer Kräfte kann aus einem historischen Blickwinkel betrachtet werden. Dass zur Zeit jede Woche Tausende auf die Straße gehen, um gegen Rechts zu demonstrieren, stimmt den Freiburger Historiker zuversichtlich. Er meint, die Menschen würden gerade ein Bewusstsein dafür entwickeln, was ihnen diese Demokratie wert sei – und das unterscheide die Situation doch deutlich von der vor hundert Jahren:

Das größte Problem und das ist etwas, was wir in den 20er und 30er-Jahren sehen, ist eine Art der Empathielosigkeit, des Gewährenlassens, des Geschehenlassens, der Nichtidentifikation mit dieser Republik und ihrer Demokratie. Und wenn die Lücke entsteht, dann helfen auch die besten Institutionen oder die perfekte Verfassung nicht. Das ist, glaube ich, etwas, was man an dieser Krisenphase erkennen kann und was sicherlich auch eine Botschaft für unsere Gegenwart hat.

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